NYTIMES & ich empfehlen: Eine Reise nach Matera!

Die Reise-Listen der New York Times gelten unter vielen Weltenbummler als das Maß aller Urlaubs-Dingen. 

Auf der aktuellen 52-places-to visit-in-2018-Liste taucht auf Platz drei Matera, in der italienischen Region Basilikata, auf. 

 

Ich hatte bereits vor vier Jahren zum ersten Mal Gelegenheit diese ungewöhnliche Stadt im  Süden Italiens zu besuchen.  Wir befanden uns auf der Durchreise von einem Strandurlaub an der nördlichen Adria zum nächsten Strandurlaub im südlichen Kalabrien. Matera hatte ich zum Zwischenstopp auf unserer Tour durch den halben italienischen Stiefel erkoren. Ganz fantastische Fotos in einem Reisemagazin hatten mich dazu verführt, ein Hotel in Matera zu buchen. Auf den Bildern waren Häuser zu sehen, die sich ineinander und übereinander stapelten, so dass alles wie ein einziges steingraues Gebilde wirkte. Die ganze Stadt schien aus Fels, auf dem sie stand, gehauen worden zu sein.  Ich buchte also ein Zimmer mitten in der historischen Altstadt. Mitten in den sogenannten Sassi, den Höhlenwohnungen, in denen bis in die 1950er Jahre hinein noch 20.000 Menschen gelebt haben. 

Matera -  aus Stein Gehauen und Aus der Zeit Gefallen

Ich kann mich noch genau erinnern. Es war Anfang Juli, fürchterlich heiß und wir fuhren durch die engen Gassen der Sassi.  Das durften wir nur, weil wir in einem der Sassi-Hotels ein Zimmer gebucht hatten. Ansonsten ist dieser Bereich für Fahrzeuge tabu. Unsere Wagen stellten wir auf einem großen Platz direkt an der Gravina Schlucht ab. Das tiefe Flusstal schlägt dort eine beeindruckende Schneise in die Felslandschaft. Auf der gegenüberliegenden Seite erhebt sich ein karger Hügel, der regelrecht durchlöchert ist. Mit dunklen runden Eingängen zu Höhlen. Bereits zur Steinzeit siedelten in dieser Ecke Italiens Menschen. Was mir damals kurzzeitig die Sprache verschlug, war nicht nicht der Gedanke an meine Vorfahren aus dem Neolithikum, es war der Anblick des uralten Matera. Keine Stadt, sondern eine graue Skulptur aus Tuffstein. Archaisch und wuchtig. Ein Ort, der aus der Zeit gefallen schien. Und zwar schon vor mindestens 2000 Jahren. Wenn in diesem Moment Maria und Josef mit dem Jesuskind, um die Ecke gekommen wären, mich hätte es nicht gewundert. Ich kam mir vor wie eine kleine Figur in einer dieser neapolitanischen Krippenlandschaften, in denen sich kleine Häuschen zu Dörfern auftürmen. Die extrem, trockene Nachmittagshitze und die völlige Abwesenheit von Geräuschen oder anderen Menschen taten ihr übriges, dass ich mich an einem der ungewöhnlichsten Orte der Welt der wähnte. 

Ungewöhnlich ist die Geschichte von Matera allemal. Wie bereits erwähnt gab es die ersten Siedlungen bereits zur Steinzeit. Der weiche Tuffstein in der Region bot sich an, um tiefe Höhlen hinein zu graben. Nach den Steinzeitmenschen schauten noch einige andere Völker in Matera vorbei und hinterließen ihre Spuren. Griechen, Römer, Lukaner, Normannen, Sarazenen und Langobarden. In all der Zeit blieben die Menschen in den Höhlen wohnen, sie gruben sogar neue in den Fels und verstecken die unschönen Löcher hinter Hausfassaden, die sie aus Tuffstein errichteten. Seit dem Mittelalter ließen sich viele Mönche in der Stadt nieder. Die wiederum bauten Kirchen in den Fels, sogenannte Chiese rupestri,  von denen über 150 in der Gegend existieren und von denen man einen Teil besichtigen kann. 

Matera - Eine nationale Schande

Mitte des 20. Jahrhunderts machte das kleine Matera in Italien plötzlich Schlagzeilen. Ein Buch deckte die katastrophalen Verhältnisse, in denen die Menschen leben mussten auf. Großfamilien hausten auf engsten Raum in den Höhlen mit Eseln, Schafen und Kühen zusammen. Die hygienischen Zustände waren ein Albtraum. Die Sterblichkeitsrate bei Säuglingen lag bei 50 Prozent. Malaria und andere schwere Krankheiten, die im übrigen Italien bereits verschwunden waren, forderten viele Todesopfer. Matera galt als nationale Schande, die schnellstmöglich beseitigt werden musste. Neue Stadtteile wurden errichtet und ein Dekret zur Umsiedlung der Höhlenbewohner erlassen. So kam es, dass die Altstadt von Matera in den 1950er Jahren verlassen zurückblieb.  Erst nach 30 Jahren Leerstand und Verfall entdeckte Italien die kulturhistorische Bedeutung der Sassi wieder. Die Grottenhäuser wurden renoviert, Hotels und kleine Geschäfte zogen ein, Touristen und Regisseure entdeckten die ungewöhnliche Stadt als Foto- und Filmkulisse.  1993 wurden die Sassi zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt. Was für eine bewegte Geschichte! Woher ich sie kenne? Zum Großteil hat sie uns Francesco, unser Ape-Fahrer, während einer Tour durch Matera erzählt. Bevor es losging besuchten wir jedoch zuerst ein kleines Sassi-Museum.

Die Casa Grotta in Matera

Die Casa Grotta ist ein winzig kleines Museum in einer der alten Grottenwohnung. Es ist jedoch großartig genug, um sich ein erstes wenn auch sehr geschöntes Bild über die beengte Wohnsituation in den Sassi machen. Dazu gibt allerlei altes Werkzeug, Möbel mit Patina und ein unechtes Pferd zu sehen. Der Eintritt kostet 3,00 Euro. Die Casa Grotta befindet sich am Fuße des Felsen auf dem die Felsenkirche Santa Maria di Idris thront. 

www.casagrotta.it 

Eine Fahrt mit der Ape durch Matera

Als Francesco uns mit seinem Strohhut auf dem Kopf ansprach und fragte ob wir eine Stadtrundfahrt mit ihm und seiner  umgebauten Ape machen wollten, sagten wir sofort "Nein, Danke". Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir in Italien noch keines der typischen Fortbewegungsmittel für Touristen bestiegen. Keinen Hop-on-hop-off-Bus, keine Touri-Ape und schon gar kein Seg-Ways.

 

Aus irgendeinem Grund stand jedoch plötzlich ein drängendes "Warum eigentlich nicht" im Raum.  Vielleicht lag es an der Hitze. Vielleicht auch an der Tatsache, dass uns an diesem einsamen Fleckchen Erde niemand beim Touristen-Ape fahren erwischen würde. Wie dem auch gewesen sein mag, wir buchten eine Tour mit Francesco und bereuten es keine Sekunde. Während uns der Fahrtwind um die Nase wehte, bekamen wir auf dem schneeweißen Gefährt alle drei Stadtviertel der Sassi zu sehen: Cività, Caveoso und Barisano. Francesco brauste von einer Kirche zum nächsten sensationellen Aussichtspunkt  und erzählte und erzählte. Von alter Geschichte und interessanten Geschichten. Er brachte uns auch in die barocke Oberstadt, voller prachtvoller Plätze, Kirchen und Palazzi. Matera hat einiges an Sehenswertem zu bieten. Darunter die Palambaro Lungo, die Kathedrale des Wassers, eine 15 Meter tiefe Zisterne erbaut 1846. Oder das MUSMA, in dem moderne Skulpturen in den höhlenartigen Räumen eines Klosters gezeigt werden.  

Um Matera und seinen Schönheiten einigermaßen gerecht werden zu können, sollte man mindestens zwei Tage einplanen.

Matera bei Nacht

Ganz besonders hatte ich mich auf den Anblick des nächtlichen Matera gefreut. Und zwar zu Recht.

Die tagsüber steingraue Stadt verwandelt sich in eine endlose Lichterkette. 

Eine Klettertour durch die SassI

Auch wenn ich die Fahrt mit Francesco genossen habe, am meisten Spaß machte es, die Sassi zu Fuß zu erkunden. Die Stadt ist terrassenartig angelegt, wird von einem Netz von kleinen Gassen und steilen Treppen durchzogen. Es ist ein ständiges Auf und Ab, ein ewiger Kampf mit der Orientierungslosigkeit, da die Wege dazu tendieren unerwartete Wendungen zu nehmen. Die Anstrengungen lohnen sich! Auf dem Weg durch die Sassi begegnet man wunderschönen Lokalen, fantastischen Ausblicken, verfallenen Häusern, schönen Kirchen und reichlich esoterisch angehauchten Läden sowie Künstler-Ateliers. 

Übernachten in Matera - Schlafen in der Höhle

In einem Höhlenzimmer sind wir in Matera nicht abgestiegen. Das wäre mir zuviel der folkloristischen Nostalgie gewesen und widerspricht grundsätzlich meiner claustrophobischen Neigung. Unser Caveoso Hotel lag jedoch mitten im Sasso Caveoso. Wir hatten ein großzügiges, geschmackvoll eingerichtetes Zimmer mit einem kleinen Balkon mit Blick auf halb verfallene Häuser und die Felsenkirche Santa Maria di Idris. Das Frühstück wurde allerdings in einer großen Höhle serviert. Das Besitzerehepaar bestand darauf, dass wir von dem angebotenen Brot probierten. Die ganze Region ist in Italien für ihre Brotbackkunst bekannt, weil die Laibe innen schön weich sind während die Kruste außen knackig gebacken ist.  Außerdem kann ich mich an eine riesige Auswahl an crostate, Kuchen, erinnern. 

Matera ist europäische Kulturhauptstadt 2019

Jedes Jahr dürfen zwei Städte aus zwei europäischen Ländern sich mit dem Titel Kulturhauptstadt schmücken. Für das Jahr 2019 sollten Städten aus Bulgarien und Italien diese Ehre zuteil werden. Matera mit seinen einzigartigen Geschichte setzte sich gegen Konkurrenten wie Siena, Cagliari, Lecce und Ravenna durch. Die Stadt, für die sich einst ganz Italien schämte, ist nun der ganze Stolz von Süditalien, das nun auf viel internationale Aufmerksamkeit hofft. Und auf mehr Touristen.  Mit der Reiseempfehlung der NYTIMES und dem Titel Kulturhaupstadt sollte diese Hoffnung nicht enttäuscht werden.

 

Übrigens: Der Blick auf die Landkarte täuscht ein wenig. Auch wenn Matera im landschaftlichen Abseits liegt, ist es nicht weit von Bari und seinem Flughafen entfernt. Außerdem gibt es drumherum einiges zu entdecken.  Wenn Ihr in Basilikata unterwegs sein, empfehle ich Euch einen Abstecher nach Apulien ins Itria-Tal!