· 

EUR: Römischer Alltag zwischen Protzbauten und Glaspalästen

Viele Monumente und Gebäude in Rom zeugen vom Machtanspruch und Größenwahn ihrer Erbauer. Unter die Kategorie Protzbau fällt auch eindeutig der Palazzo della civiltà italiana (Palast der italienischen Zivilisation) im römischen Stadtviertel EUR. 

Der perfekt symmetrische Bau war das Herzstück eines gigantomanischen, faschistischen Städtebau-Projektes und ist heute das Headquarter der Nobelmarke FENDI. 

 

In den 1930er Jahren beauftragte Benito Mussolini seine Lieblingsarchitekten im Süden von Rom ein neues monumentales Stadtviertel zu errichten. Es sollte die perfekte Kulisse für die geplante Weltausstellung im Jahr 1942 in Rom, der Esposizione Universale di Roma, werden Als architektonischer Mittelpunkt des  Großprojektes E42 galt der Palazzo della civiltà italiana. Auf einem Hügel erbaut, war (und ist) der weiße Quader sogar aus dem römischen Zentrum gut sichtbar. Die exponierte Lage war ebenso beabsichtigt wie die Ähnlichkeiten des Baus mit dem antiken Kolosseum in römischen Zentrum. Den insgesamt 216 Rundbögen verdankt der Palast seinen Zweitnamen colosseo quadrato, das quadratische Kolosseum.  

 

Erdacht worden war das quadratische Kolosseum als Hommage an die Errungenschaften des italienischen Volkes. So wurde über den Arkaden der marmornen Fassade in Großlettern eingemeißelt: Ein Volk der Dichter, Künstler, Helden, Heiligen, Denker, Wissenschaftler, Seefahrer und Wanderer. Während der Expo hätte sich im Palazzo eine Ausstellung der italienischen Zivilisation widmen sollen. Dazu kam es nie. Die Weltausstellung wurde wegen des 2. Weltkrieges abgesagt, die Bauarbeiten auf dem Gelände 1943 eingestellt.

Allerdings nicht für immer! 

Das Colosseo Quadrato in EUR
Das Colosseo Quadrato in EUR

EUR ist ein Stadtviertel voller optischer Gegensätze. Römisches Alltags-leben findet hier im Schatten faschistischer Architekur und mit Blick auf moderne Walkratzer statt. 

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Bauarbeiten auf dem Ex-Weltausstellungsgelände wieder aufgenommen. Die alten Bauruinen wurden nach alten Plänen fertiggestellt, neue Gebäude kamen hinzu. Im Wirtschaft-Boom der 50er und 60er Jahre brauchte Rom Platz für Büros und Wohnraum.  An die Esposizione Universale di Roma erinnert heute daher nicht nur der Name der Viertels EUR, sondern auch architektonische Überbleibsel aus dieser Zeit, die neben gläsernen Hochhäusern das Gesicht des heute sehr beliebten Wohnviertels prägen. 

Luxus-Mode im Quadratischen Kolosseum 

Über 70 Jahre stand das quadratische Kolosseum leer, bis sich 2015 ein nobler Mieter fand. FENDI zog in den schneeweißen Koloss auf 8.400 qm ein. Mit über 400 Mitarbeitern, reichlich Pathos und einer großen Modenschau. Ehrlich gesagt, fand ich es schwer nachvollziehbar, dass ein internationales Luxus-Label sein Headquarter in einem faschistischen Marmorpalast einrichtet. Ganz schlechte PR! Dachte ich zumindest. Aber weit gefehlt. Der Palazzo wird nicht von allen aber vielen Italienern als Ikone der italienischen Architektur des 20. Jahrhunderts angesehen.  Der historische Kontext spielt dabei eine untergeordnete Rolle.  FENDI ist so stolz auf sein neues Zuhause, dass es die Öffentlichkeit zu sich einlädt. 

Im  Erdgeschoss des Palazzo finden wechselnde Ausstellung italienischer Künstler statt, die das interessierte Publikum kostenfrei besuchen darf. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich auf dem Gelände rund um das Colosseo quadrato umzuschauen. 

 

Samstage sind ideal für einen Ausflug nach EUR.
Samstage sind ideal für einen Ausflug nach EUR.

Ich finde es unmöglich beim Anblick des quadratischen Kolosseum das ideologische Fundament, auf dem es erbaut wurde, auszublenden. 

Wenn ich aus dem Bus in EUR aussteige, kommt es mir vor als wäre ich auf einem anderen Planeten gelandet. Gerade bin ich noch durch das barocke Rom mit seinen engen Gassen und verschnörkelten Brunnen gelaufen. Jetzt stehe ich völlig verloren zwischen monströsen Marmorpalästen und laufe auf breiten schnurgeraden Straßen, die die Gegend regelrecht zerschneiden. Im Gegensatz zum lebendigen Zentrum ist hier kaum ein Mensch zu sehen. Sie sind zwar da, verschwinden jedoch im Schatten dieser Brachial-Architektur. 

Ich zumindest brauche immer einen Moment, um mich an die bizarre, kulissenhafte Umgebung in dieser Ecke von EUR zu gewöhnen. Bei einem zweiten Blick, stellt man dann auch schnell fest, dass das römische Alltagsleben sogar diese Gegend für sich erobert hat. 

Samstags findet vor dem quadratischen Kolosseum ein Markt statt, auf dem vor allem Antik-Schmuck, Mode und Heimtextilien angeboten werden. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite trifft man sich auf einem Espresso in dem 60er Jahre-Traditions-Café Palombini. 

 

Wenn Ihr Euch das quadratische Kolosseum und das Stadtviertel EUR selbst anschauen möchtet, empfehle ich Euch an einem sonnigen Samstag vorbeizuschauen. Dann sind die FENDI-Pforten geöffnet  und die Gegend ist belebter. So verlassen wie man im ersten Moment meint, ist es sowieso nicht. Direkt um die Ecke liegt ein Wohngebiet mit Cafés und Geschäften. 

 

Palazzo della civiltà italiana, Quadrato della Condordia 5, Bus 714 ab Termini bis Colombo/Agricultura oder Metro B bis EUR/Magliana 

Was Es ausser dem quadratischem Kolosseum noch in EUR zu sehen gibt:

Basilika Santi Pietro E Paolo

Eine lange Flachtreppe führt auf die Basilika Santi Pietro e Paolo zu
Eine lange Flachtreppe führt auf die Basilika Santi Pietro e Paolo zu

Ganz in der Nähe des Colosseo quadrato liegt die Basilika Santi Pietro e Paolo. Ein riesiger Würfel mit riesiger Kuppel! Wie unschwer zu erkennen ist, war auch das Gotteshaus Teil des Weltausstellungs-Projektes, wurde aber erst nach dem 2. Weltkrieg fertig gestellt. Wenn Ihr die Gelengeheit habt, dann schaut Euch das Innere der Kirche an. Duster, ungemütlich und erdrückend! Kaum vorstellbar, dass dort Hochzeiten stattfinden. Wenn Ihr samstags unterwegs seid, kann es aber durchaus passieren, dass Ihr mitten in eine fröhliche Hochzeitsgesellschaft geratet. 

 

Piazzale dei Santi Pietro e Paolo, vom Colosseo quadrato lauft ihr einfach über die Viale Pasteur und biegt dann rechts auf die Viale Europa ab. Dort befinden sich auch einige Cafés. 

Il Laghetto dell`EUR

Der künstliche See in EUR dient den Römern als Naherholungsgebiet. Die Metro B hat eine Haltestelle direkt am Ufer.
Der künstliche See in EUR dient den Römern als Naherholungsgebiet. Die Metro B hat eine Haltestelle direkt am Ufer.

Il Laghetto - Der künstliche See mitten in EUR sollte eigentlich pünktlich zur Weltausstellung 1942 fertig werden. Angelegt wurde er jedoch erst im Rahmen der Olympischen Spiele 1960. Heute ist der längliche See ein beliebtes Naherholungsgebiet. Auf dem See wird gerudert und gepaddelt. Im nahen Park wird flaniert und Eis geschleckt. Das stammt von der berühmten Gelateria Giolitti. 

Während vor der Filiale im römischen Zentrum hauptsächlich Touristen Schlange stehen, trifft man hier auf römische Gelato-Fans. 

Im Frühjahr ist es besonders schön rund um den Laghetto. Wenn das Klima mitspielt stehen die vielen japanischen Kirschbäume bereits ab Ende März in voller Blüte. 

 

Laghetto dell`EUR, Viale America, Metro A bis Station EUR Palasport oder zu Fuß nur ein paar Minuten von der Basilika Santi Pietro e Paolo entfernt. Wem mittlerweile der Magen, für den lohnt sich ein Abstecher zu der Bäckerei Il Gianfornaio, Largo Apollinaire 5/7. 

Dort gibt es empfehlenswerte Pizza und Focaccia-Kreationen. 

Die Gelateria Giolitti taucht in jedem Reiseführer auf. Der Ableger im Stadtviertel EUR bleibt dabei oft unerwähnt.
Die Gelateria Giolitti taucht in jedem Reiseführer auf. Der Ableger im Stadtviertel EUR bleibt dabei oft unerwähnt.

Giardino delle Cascate

Erst im Frühjahr 2017 wurde der Giardino delle cascate wieder eröffnet. Nachdem der kleine Park mitsamt seiner Wasserspiele 56 Jahre für die Öffentlichkeit unzugänglich gewesen ist. Eigentlich als grüne Lunge für die E 42 gedacht, wurden die Pläne zu den Olympischen Spielen 1960 hervorgeholt und umgesetzt. Nach den Spielen wurde der Park allerdings wieder geschlossen.  Jetzt plätschert, fällt und hüpft das Wasser für alle interessierten Besucher wieder von 7 - 20 Uhr. 

 

Giardina delle cascate dell`EUR, Passegiata del Giappone, südöstlicher Teil des Laghetto