Raus aus der Komfort-Zone: Meine erster Einsatz als Retaker in Rom!

Heute hatte ich die riesengroße Freude und Ehre mit der Mitbegründerin der Bürgerinitiative Retake Roma, Rebecca Spitzmiller, ein Interview im Rahmen meines römischen Frauenpower-Projektes "Ciao Bella" zu führen. Das komplette Interview wird erst in ein paar Tagen online sein, aber die Erlebnisse, die ich beim Überstreichen von Graffiti und Abkratzen von Plakaten hatte, gibt es vorab hier in einer Kurzversion zu lesen. 

Was bitte schön ist Retake Roma? Und wer will sich da die Ewige Stadt zurückholen? Und vor allem von wem?  Also, Retake Roma ist eine Bürgerinitiative aus vielen Freiwilligen, die seit 2009, sich nicht nur darum bemüht, dass Rom schöner und sauberer wird, sondern auch sehr hart dafür schuftet. Im Grunde genommen so etwas Ähnliches wie die deutsche Aktion "Unser Dorf soll schöner werden". Eben nur in einer anderen Dimension. In einer größeren. Und römischereren! Retaker übermalen Graffiti, kratzen lästige Werbeaufkleber ab, die auf Wänden, Stromkästen und Laternenmasten in der ganzen Stadt verteilt sind, befreien grüne Parks vom Müll, kehren Zigarettenkippen von der Straße und verbreiten so unermüdlich die (für römische konservative Verhältnisse revolutionäre)Idee, dass jeder Einzelne in der Lage ist, seine Stadt zum Besseren zu verändern. Mittlerweile gibt es 70 Untergruppen von Retake in Rom und weitere Ableger in größeren italienischen Städten. Eine wahre Erfolgsgeschichte, von der sowohl die nationalen als auch internationalen Medien mit Begeisterung berichten. Darunter auch die oft so Rom kritische New York Times.

Bei meinem heutigen Treffen mit Rebecca Spitzmiller, einer Amerikanerin, die seit 30 Jahren in Rom lebt - und für die der Begriff Powerfrau erfunden werden müsste, wenn es ihn nicht schon bereits gäbe - durfte auch ich Hand anlegen. Bevor es im Afrikanischen Viertel auf der Viale Eritrea zuerst einem "Tag" an den Kragen ging, hieß es erst einmal die dunkelblauen Retake Roma-Weste anziehen. Die dient als Schutz gegen Farbspritzer und gegen unfreundliche Zeitgenossen, die nicht viel von Eigeninitiative halten. Denen prangt neben dem pinkfarbenen Retake-Logo noch das offizielle Wappen der Kommune Rom entgegen.

Wie ich erfahren durfte gibt es tatsächlich Menschen, die es nicht zu schätzen wissen, wenn Bürger sich um die eigene Stadt kümmern und nach rechtlichen Grundlagen fragen oder betonen, dass Ihnen  die Schmiererei an der Hauswand ausgesprochen gut gefällt. Als wir heute begannen graue Farbe über ein Graffiti zu streichen, war mein Adrenalinspiegel tatsächlich ein wenig erhöht, da nicht ganz klar war, ob die Besitzer der Bar und der beschmierten Hauswand so positiv auf unsere spontane Aktion reagieren würden. Begeisterungsstürme oder gar einen Cappuccino für die Schufterei gab es nicht, aber immerhin die Erlaubnis auch die marmornen Türrahmen mit einer chemischen Wunderwaffe von Kritzeleien zu befreien. Die meisten Passanten warfen uns skeptische und misstrauische Blicke zu. Ich schätze einige von Ihnen werden sich gedacht haben, was wohl die zwei Blondinen in den blauen Westen verbrochen haben, damit sie nun ihre Sozialstunden in Rom mit Putzen ableisten müssen. Drei Damen und Herren, die offensichtlich über Sinn und Zweck von Retake Roma Bescheid wussten, bedankten sich im Vorbeigehen für unsere Arbeit. Und eine ältere sehr gesprächige Dame blieb interessiert stehen, um zu erfahren wie man diese lästigen Schmierereien am eigenen Haus los wird. Dann gesellte sich noch jemand dazu, es wurde gefachsimpelt, gequatscht, gearbeitet, Telefonnummern  getauscht und schnell zum nächsten Hauswand weitergezogen. Dort ging das Spiel wieder von vorne los. Zügig arbeiten, hoffen, dass niemand negativ reagiert und jedem Interessierten, die Idee von Retake Roma näher bringen. Letzteres ist ebenso wichtig wie das Putzen und Schrubben. Denn wenn ich eines in den zwei Stunden heute gelernt habe, dann folgendes: Retake Roma kämpft nicht nur gegen Graffiti und Dreck, sondern auch gegen Ignoranz, Gleichgültigkeit und Resignation. Für alle, die in Rom leben und ihrer Stadt einmal etwas Gutes tun wollen oder für Touristen, die ihrer Zuneigung zur Ewigen Stadt mit Taten Ausdruck verleihen möchten, empfehle ich ganz dringend einen Blick auf die Homepage von Retake Roma zu werfen. Hier findet man die Termine für die nächsten Aufräum-Aktionen, an denen jeder teilnehmen kann! Ich werde ganz sicher wieder mit von der Partie sein. Retaken macht nicht nur Rom lebenswerter, sondern auch gefühlt mindestens 20 Jahre jünger. Mit grauer Farbe in den Haaren, einem Pinsel in der Hand und mit ausreichend Adrenalin im Blut über eine fremde Hauswand zu malern und dabei für eine zu Sozialstunden verdonnerte Kleinkriminelle gehalten zu werden, hat zumindest für mich etwas so erfrischend Unkonventionelles an sich, dass ich meine römische Komfortzone in Zukunft öfters verlassen möchte. Mehr über die phantastische, mitreissenden Rebecca Spitzmiller und der grandiosen Bürgerinitiative Retake Roma gibt es bald unter "Ciao Bella" zu lesen!! Vermutlich wird es dieses Mal auch eine italienische Version von dem Interview geben. Denn obwohl auf allen medialen Kanälen schon seit Jahren über die freiwillige Putzkolonne berichtet wird und diese viel Unterstützung von namhaften Firmen und einigen Prominenten erfährt, hörten viel zu viele meiner römischen Bekannten aus meinem Munde das erste Mal von Retake...