Aufgeschnappt! Römische Busgespräche Part 1.

Buslinie 70. Haltestelle Termini bis Piazza Cavour. Mittwoch 11. Mai 2016. 

Es ist um die Mittagszeit als ich in letzter Sekunde in den Bus springe und fast mit einer Wand aus Reisetrolleys kollidiere. Sie gehört zu einer Gruppe Amerikaner, die mir mitsamt ihres Gepäcks den Weg in den hinteren Busteil zu freien Sitzplätzen versperrt. Ich widerstehe dem spontanen Drang mich nörgelnd irgendwie an dem Bollwerk aus Mensch und Koffern vorbei zu quetschen und füge mich in mein erträgliches Stehplatz-Schicksal.Immerhin ist es im Bus relativ leer. Und schön stickig. Also positioniere ich mich strategisch klug hinter einem der geöffneten Oberfenster und warte auf einen erlösenden Fahrtwind. Der allerdings ausbleibt, weil wir direkt nach dem Anfahren im Stau steckenbleiben. Jedes Mal wenn der Bus sich ruckelnd einen Meter nach vorne bewegt,kommt die amerikanische Kofferwand ins Wanken und landet unsanft in meinen Kniekehlen. Während ich mich in tiefer Gelassenheit übe und die Trolleys immer wieder kommentarlos mit einem Fuß in ihre alte Position befördere, bleibt ein älterer italienischer Fahrgast nicht ganz so ruhig, als ein Herr aus einer niederländischen Reisegruppe ihm mit einem Gepäckstück zu nahe kommt.

Er schüttelt missmutig den Kopf und sagt ebenso laut wie abfällig:"Touristen!"

Einige umstehende und - sitzende Fahrgäste werfen sich vielsagende Blicke über die Ränder ihrer Sonnenbrillen hinweg zu. Hoffentlich handelt es sich bei dem braungebrannten Weißhaarigen nicht um einen dieser berüchtigten Monolog-Nörgler, die einem die komplette Busfahrt den Nerv rauben. 

"Soll ich einmal sagen, was ich von den ganzen Ausländern in der Stadt halte?", macht er alle Hoffnung auf eine ruhige Busfahrt zu Nichte. 

"Nein", antwortet eine Dame von ganz vorne. "Ihre Meinung interessiert hier niemanden."

Das zustimmende Gemurmel im Bus ist leider auch nicht hilfreich.

"Diese ganzen Ausländer gehen mir auf die Eier! Ganz mächtig auf die Eier!"

Vor lauter Fremdschämen sackt die Hälfte der Businsassen leise stöhnend in sich zusammen. Auch die Niederländer, die offensichtlich kein einziges Wort Italienisch verstehen, müssen am Tonfall und den bösartigen Blicken des pöbelnden Herrn erkannt haben, dass er es nicht gut mit ihnen meint. Wie versteinert schauen sie aus dem Fenster, an dem die vielen Geschäfte der Via Nazionale vorbeiziehen. 

"Wenn Sie noch einmal solche fürchterlichen Worte in den Mund nehmen, rufe ich die Carabinieri", schaltet sich wieder die Dame von vorne ein. 

"Diese ganzen Ausländer gehen mir auf die Eier!"

"Rausschmeissen sollte man diesen Menschen", zischt eine meiner Nachbarinnen.

Obwohl wir mittlerweile Fahrt aufgenommen haben kann der Wind, der durch die Oberfenster weht nicht die dicke Luft im Bus vertreiben. 

"Ausländer gehen mir auf die Eier!"

"Da vorne stehen übrigens die Carabinieri", schaltet sich jetzt auch mal ein Herr ein als wir an der nächsten Haltestelle stoppen. Genau in diesem Moment wäre die Situation ganz bestimmt eskaliert, hätte nicht eine schicke, ältere, sehr aufgelöste Dame die Bus-Bühne betreten und mit ihrem Gezeter den pöbelnden Herrn davon abgehalten, weiterhin über die Zwangslage seiner Geschlechtsteile zu referieren. 

"Seit 1 Stunde warte ich auf den Bus", schreit sie den Busfahrer in seiner Kabine an und ich hoffe für ihn, dass sie nicht nur abgeschlossen, sondern auch schallgeschützt ist. "So eine Unverschämtheit. So etwas gibt es auch wirklich nur in Rom."

Die Antwort des Busfahrers geht im kollektiven Stöhnen der übrigen Fahrgäste unter. Kann man denn nicht mal in Ruhe Busfahren? Reicht es denn nicht die stickige Luft einatmen zu müssen und alle paar Minuten einen Reisetrolley in den Kniekehlen hängen zu haben? Offensichtlich nicht!

"Ich weiß doch wie lange ich gewartet habe. Wie kann so etwas in der Hauptstadt passieren? In der Hauptstadt! Eine Schande ist das."

"Dann geh doch zu Fuß." Der pöbelnde Herr hat ein neues Opfer gefunden, welches nun vor lauter Empörung nach Luft schnappt. Genau in diesem Moment klingelt das Telefon einer meiner Steh-Nachbarn.

"Pronto?"

"Ach du bist es."

"Nein, nein. Wir sind zur Zeit in Rom."

"Ob es schön ist in Rom?"

Während der Herr sich breit grinsend im Kreise der übrigen Fahrgäste umschaut, brechen diese  in kollektives Prusten und Lachen aus. 

"Rom ist schön. Nur das Busfahren ist ein Desaster!"