Römischer Alltag: Der Nächste bitte!

Heute Morgen hat mein Nachwuchs den Schulbus verpasst. Somit kam mir die zweifelhafte Ehre zuteil mich durch den römischen Berufs- verkehr quälen zu dürfen. Auf den Straßen Roms mutiere ich zu einem mir unbekannten Wesen. Nach jeder Fahrt folgt ein Blick in den Spiegel. Nur um zu sicher zu gehen, dass wirklich ich es war, die diese recht freie und  waghalsige Interpretation der Straßenverkehrsordnung an den Tag gelegt hat, und dass wirklich ich es war, die den mörderischen Fahrstil der übrigen Verkehrsteilnehmer (SMART-Fahrer sind nicht immer smart! Achtung!!) überlebt hat. 

Ein wenig später betrat ich das Gebäude der italienischen Post in unserem Stadtteil. Im Gegensatz zu draußen auf den Straßen geht es hier drinnen äußerst geregelt zu. Am Eingang erwartet den Besucher ein unscheinbarer aber alles entscheidender Apparat. Er teilt die Nummern zu!

An vielen Orten an denen mit Warteschlangen zu rechnen ist, muss man Nummern ziehen. Geduldiges Anstehen ist nichts für Römer. Ohne geregelte Reihenfolge würde es an der Wursttheke sonst zugehen wie auf der Straße. Es würde das Gesetz der Dreisten gelten und man würde kurz vor der Kurve an der Theke von einem SMART-Fahrer von der Strecke gedrängt werden!

Bei der Post ist schon das Ziehen der Nummer eine kleine Heraus- forderung. Es gibt vier Knöpfe auf die man drücken könnte. Jeder Knopf steht für eine der angebotenen Dienstleistungen. Da muss man schon wissen was man will. Mit meiner Nummer für Postleistungen P029 betrat ich nun den Schalterraum und starrte wie alle anderen Anwesenden gebannt auf die digitalen Anzeigetafeln, die die Nummern mit einem Serviceschalter in Verbindung bringen. Nach nur erstaunlich schnellen 5 Minuten wurde ich Schalter 10 zugewiesen wo mein Anliegen, einen Einschreibebrief nach Deutschland zu verschicken, mir einen Stapel Formulare einbrachte. Nach deren Ausfüllen sollte ich, ohne eine neue Nummer zu ziehen, wieder an den Schalter kommen. Was ich kurz darauf auch tat und was einer älteren Signora so sehr missfiel, dass sie an den Schalter trat und mich mit einem unfreundlichen Redeschwall beglückte. Noch bevor meine deutschen Gehirnwindungen den tieferen Sinn der italienischen Anmache verstanden hatten, ging der Schalterbeamte dazwischen: "Die Dame hat eine Nummer!" Dann verdrehte er die Augen in meine Richtung und zischte:"Das passiert hier ständig." Jetzt hatte auch ich den Wortlaut übersetzt.  Die Dame hatte mich als Vordränglerin identifiziert, als SMART-Fahrerin. Was draußen vielleicht auf der Straße geht ist ansonsten,  wenn man es nicht gerade selber tut, ein schweres Verbrechen. Die Sorge der andere könne besser dastehen als man selbst begegnet mir relativ häufig in Rom, deshalb raunte ich dem Schalterbeamten verschwörerisch zu: "Das kann ich mir vorstellen." Der älteren Dame warf ich noch einen sehnsüchtigen Blick nach. Wenn ich doch sofort ihr Anliegen verstanden hätte, hätte ich darauf adäquat reagieren können. Immerhin schoss nach der morgendlichen Autofahrt noch ausreichend Adrenalin durch meinen Körper. Ohne Vorwarnung rumzuschreien, wenn man sich auf den Schlips getreten fühlt, gehört nämlich auch zum römischen Alltag. Um so älter und distinguierter der Schreihals, desto lauter sein Geschrei. Geschlechterunspezifisch. Nur so nebenbei erwähnt. 

Eine große Gruppe potentieller Schreihälse traf ich kurz darauf im Supermarkt an der Piazza. Mein Stadteil zog in den 70er/80er Jahren wohlhabende Bewohner an, die mittlerweile etwas in die Jahre gekommen sind. Und die gehen offenbar alle gleichzeitig morgens einkaufen und wollen dann alle gleichzeitig bezahlen. An 7 Kassen, von denen grundsätzlich nur 3 geöffnet sind. Mit Warenbändern von einer sagenhaften Länge von 40 cm. Ohne Nummern zu ziehen! Und alle haben Angst, zu kurz zu kommen. Hinzu kommen unlustige Kassierer, die in Ohnmacht fallen wenn man mit einem 50 EUR Schein bezahlen möchte und kein Kleingeld bei sich hat. Es ist immer wieder ein Erlebnis! Für Augen und Ohren. Welche Ruhe erwartete mich dann später auf meinem Balkon, auf dem ich Wäsche aufhängte. Auch auf den Balkonen meiner Nachbarn herrschte reges Treiben. Die Dienstmädchen, allesamt von den Philippinen, waren am Fegen und Putzen. Wie ich bereits erwähnte wohne ich einem einst nicht noblen, aber neureichen Viertel. Da gehört es zum guten Ton eine Hausangestellte zu beschäftigen, die auch eine entsprechende Uniform trägt. In meiner Wohnung gibt es zwei Eingänge. Einer führt direkt in die Küche und ist dem Personal vorbehalten. Die vielen Menschen von den Philippinen, die sich ihren Lebensunterhalt als Haushaltshilfe oder Pflegekraft verdienen, gehören auch zum römischen Alltag. Und sie tun dem Klima gut. Finde ich zumindest. Sie sind viel fröhlicher und viel höflicher als manch Römer. Und sie lächeln mir in der Warteschlange im Gemüseladen immer sehr nett zu. Auch ein bisschen verschwörerisch. Ganz ehrlich: ich glaube immer, sie halten mich für eine Haushaltshilfe aus Osteuropa. Aufgrund meines Akzentes und meiner Haarfarbe. Ist mir auf jeden Fall lieber, als für den Spross eines distinguierten Schreihalses gehalten zu werden.